08.03.2010, 08:30Agenda
Alptraum EU-Vertrag
Lange haben die europäischen Staaten für den Vertrag von Lissabon gekämpft. Doch drei Monate nach Inkrafttreten herrscht Ernüchterung. Für viele Regierungen hat das Abkommen bittere Folgen: Die Macht in Brüssel wird neu verteilt. von Peter EhrlichBrüssel Es ist eine einfache Frage, die Michael Froman stellt: Ob in der EU jetzt klarer entschieden werde, will der Abgesandte von US-Präsident
Barack Obama von einer Runde EU-Botschafter Ende Januar in Brüssel wissen. Aber die Diplomaten winden sich, keiner gibt ein klares Ja. Wenige Tage später sagt Obama seine Teilnahme am für Mai in Madrid geplanten Gipfeltreffen EU-USA ab. "Das war symptomatisch", sagt einer, der dabei war. Europa hat zwar den gefeierten Lissabon-Vertrag, sein neues Grundgesetz, einfacher ist die Staatengemeinschaft für Außenstehende aber nicht geworden.
Welch eine Ernüchterung. Lange und hartnäckig haben die Mitgliedsstaaten um den Vertrag gerungen, so viel haben sie sich von ihm versprochen: Europa soll schneller entscheiden, demokratischer werden, im Rest der Welt einheitlicher auftreten. Doch nun, drei Monate nach Inkrafttreten des Vertragswerks ist die Euphorie verflogen. Die EU-Kommission unter José Manuel Barroso, das Parlament und die Mitgliedsländer kämpfen um ihren Einfluss. Denn der Vertrag wälzt die Rollenverhältnisse in Brüssel um - den Betroffenen wird das erst allmählich bewusst. "Wir sind in einer Phase des Austestens", sagt Thomas Fischer, Büroleiter der Bertelsmann Stiftung in Brüssel, "viele haben unterschätzt, was sich alles ändert." Ein bis drei Jahre könne es dauern, bis sich die neue Machtverteilung zurechtgeruckelt hat, vermutet Grünen-Fraktionschef Daniel Cohn-Bendit.
Gefasst war darauf kaum einer. Noch Mitte Dezember war sich Kanzlerin Angela Merkel sicher, dass die EU nun ihre ganze Kraft auf die großen politischen Herausforderungen richten könne. "Statt sich unentwegt mit sich selbst zu beschäftigen, kann sie nun die Aufgaben und Probleme unserer Zeit anpacken", so Merkel.
Star und Sternchen: EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy (r.) macht EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso die Stellung als "Mister Europa" streitig
Das stellt sich nun als frommer Wunsch dar. Tatsächlich hat eine neue Phase der Selbstbeschäftigung begonnen, die Institutionen beharken sich, jede behauptet von sich, sie habe nun mehr Einfluss in Europa.
Und nach und nach werden die Verlierer sichtbar. Die Außenminister waren die ersten. Anders als bisher dürfen sie nun nicht mehr an den regelmäßigen Sitzungen der Staats- und Regierungschefs teilnehmen. Nur ein paar Minuten brauchte der neue "Europäische Rat" mit seinem auf zunächst zweieinhalb Jahre gewählten Präsidenten
Herman Van Rompuy am 10. Dezember, um das zu beschließen. "Viele der Minister haben für den Lissabon-Vertrag gekämpft, aber ihn nicht richtig gelesen", spottet ein hochrangiger Mitarbeiter des Rates.
Teil 2: Zwischen Barroso und Van Rompuy tobt ein Machtkampf